Im April 1986 explodiert im ukrainischen Tschernobyl ein Atommeiler. Wulf Geng weilt in den Vereinigten Arabischen Emiraten und erfährt von dem Vorfall auf den hinteren Seiten der „Khaleej Times“: Wenige Wochen später reist er zurück nach Deutschland – und erlebt ein fremdes Land.
von Wulf Geng
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Abu Dhabi, Ende April 1986. Auf Seite 5 der „Khaleej Times“ wird unter der Rubrik „Europe“ ein „accident“ in einem Kernkraftwerk in „Chernobyl, USSR“ erwähnt. Auch die Größe der Überschrift legt nahe, dass die Redaktion dem Ereignis ähnliche Bedeutung beimisst wie der alljährlichen Überschwemmung in Bangladesch oder der Entlassung des stellvertretenden Innenministers der Philippinen. Also kein Grund zu besonderer Beunruhigung. Auch wenn meine Heimreise bereits in drei Wochen sein wird.
In den Pubs vor Ort ist „Chernobyl“ anfangs kein Thema. Erst nach einer Woche kommt es tatsächlich einmal zu einer Diskussion über „nuclear energy“. Ein englischer Lehrer fing damit an, und es erinnerte mich an ein Pflichtprogramm im Deutschunterricht meiner Schulzeit: Erörterung, Problemaufsatz. Hatte es damals nicht in jeder Klasse je ein bis zwei mehr oder weniger sprachgewandte Befürworter und Gegner der Atomenergie gegeben, die sich meist bereits durch Haarlänge und Kleidung voneinander abgrenzten? „Linke“ – also Kernkraftgegner – mit langen, „Rechte“ mit kurzen Haaren.
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